Pressemitteilung
Urteilsverkündung in dem Verfahren 7 O 3677/18
In dem
Schadensersatzverfahren eines ehemaligen Transplantationsmediziners der Universitätsmedizin
Göttingen gegen das Land Niedersachsen hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts
Braunschweig am heutigen Tag das Urteil verkündet. Das Land Niedersachsen wurde
verurteilt, an den Kläger 1.087.899,19 EUR zu zahlen und den Kläger von seiner
Verpflichtung gegenüber seinem Bruder freizustellen, eine Zinszahlung i.H.v.
80.000 EUR an einen Darlehensgeber zu leisten. Die weitergehende, auf die
Erstattung von Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der Formulierung und
Einlegung einer (erfolglosen) Verfassungsbeschwerde gerichtete Klage wurde
hingegen abgewiesen.
Zum Hintergrund:
Der Kläger war bis zum Jahr 2013 Leitender Oberarzt an der Klinik
„Universitätsmedizin Göttingen“ (UMG). Er war in einer Abteilung
beschäftigt, die u.a. für die Transplantationschirurgie zuständig war. Nach
Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die
Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts von Korruptionsdelikten im
Jahr 2011 wurde der Kläger vom 11.01.2013 bis zum 16.12.2013 in
Untersuchungshaft genommen. Nach der Zahlung einer Kaution i.H.v. 500.000 EUR
wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt und der Kläger gegen Auflagen
freigelassen. So musste er seinen Reisepass abgeben.
Mit Urteil des
Landgerichts Göttingen vom 06.05.2015 (6 Ks 4/13) wurde der Kläger
freigesprochen und das Land Niedersachsen verpflichtet, den Kläger für die
erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen. Das Landgericht Göttingen war zwar
davon ausgegangen, dass die Manipulation von medizinische Daten moralisch
verwerflich, dieses zu dem damaligen Zeitpunkt jedoch nicht strafbar gewesen
sei. Nachdem der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil des
Landgerichts Göttingen am 28.06.2017 (5 StR 20/16) verworfen hatte, erhielt der
Kläger für die erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung in Höhe von 8.500
EUR und die Kaution wurde zurückgezahlt.
Mit der
Klage auf Entschädigung in Höhe von insgesamt 1.207.311,99 EUR verlangt der
Kläger den Ersatz eines Zinsschadens für die Bereitstellung der Kaution sowie
Verdienstausfall und die Kosten für die Einlegung einer im Ergebnis erfolglosen
auf seine Freilassung gerichteten Verfassungsbeschwerde.
Zur Urteilsbegründung:
Zur
Begründung führte der Vorsitzende Richter der 7. Zivilkammer, Dr. UIllrich
Broihan aus, dass der Kläger Anspruch gegen das Land Niedersachsen auf
Entschädigung i.H.v. 1.167.899,19 EUR aus § 7 StrEG i.V.m. §§ 249, 252 BGB
habe.
Die grundsätzliche Verpflichtung des Landes
Niedersachsen zur Entschädigung des Klägers sei bereits durch das Urteil des
Landgerichts Göttingen vom 06.05.2015 (6 Ks 4/13) festgestellt worden,
was für die Kammer bindend sei. Der Kläger habe Anspruch auf Ersatz des ihm
durch die Untersuchungshaft entstandenen Vermögensschadens. Vermögensschaden sei
jede durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte Verschlechterung der
wirtschaftlichen Lage des Beschuldigten, die sich in Geldwert ausdrücken lässt,
eingeschlossen die Nachteile im Fortkommen und Erwerb, vor allem der
Verdienstausfall und der entgangene Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der
Dinge oder den besonderen Umständen des Falles hätte erwartet werden können.
Hierunter
seien auch die Zinsen zu fassen, zu deren Zahlung der Bruder des Klägers sich
gegenüber einem Darlehensgeber verpflichtet habe. Die Kammer habe es als
erwiesen angesehen, dass der Bruder des Klägers bei einem Geschäftsmann ein
Darlehen i.H.v. 500.000 EUR aufgenommen habe, um die Kautionssumme für den
Kläger zu stellen. Darüber hinaus sei die Kammer nach Studium der
Vertragsurkunden und der Vernehmung des Bruders des Klägers im Rahmen der
mündlichen Verhandlung vom 09.08.2019 davon überzeugt, dass der Bruder des
Klägers für die Bereitstellung des Darlehens Zinsen i.H.v. 80.000 EUR an den
Darlehensgeber zu entrichten habe, wobei die Verpflichtung zur Zahlung der
Zinsen den Kläger habe treffen sollen. Hiervon sei der Kläger freizustellen.
Die Kammer sehe es darüber hinaus als erwiesen an, dass dem Kläger durch
die Untersuchungshaft ein Verdienstausfall i.H.v. 1.079.656,18 EUR entstanden
sei. Nach Anhörung eines leitenden Arztes einer jordanischen Klinik sei die
Kammer davon überzeugt gewesen, dass der Kläger Anfang 2013 eine Tätigkeit in
dieser Klinik hätte aufnehmen sollen, die mit einem monatlichen Gehalt von
50.000 US-Dollar vergütet worden wäre und dass der Kläger diese Tätigkeit
lediglich wegen seiner Inhaftnahme nicht habe ausüben können. Die Kammer schenke
dem Zeugen Glauben. Laut den überzeugenden Bekundungen des Zeugen sei Ende 2012
fest vereinbart worden, dass der Kläger Anfang 2013 in einer Klinik in Amman
anfangen sollte zu arbeiten und hierfür ein festes Gehalt i.H.v. 50.000
US-Dollar beziehen sollte. Ob es sich bei der Vereinbarung aus dem Jahr 2012 um
einen mündlichen Arbeitsvertrag oder einen mündlichen Vorvertrag gehandelt
habe, sei unerheblich. Es komme lediglich darauf an, dass der Kläger mit
Arbeitsaufnahme Anfang 2013 das zugesagte monatliche Festgehalt von
50.000 USD erhalten hätte, er die Arbeit aber wegen der Inhaftierung nicht habe aufnehmen können. Von
diesem Umstand sei die Kammer überzeugt. Da der Reisepass des Klägers nach
Außervollzugsetzung des Haftbefehls in amtliche Verwahrung genommen worden sei,
sei es dem Kläger auch nach seiner Freilassung nicht möglich gewesen, die
berufliche Tätigkeit in Jordanien aufzunehmen, weshalb ihm auch für diesen
Zeitraum bis zu seinem Freispruch durch das Landgericht Göttingen ein
erstattungspflichtiger Verdienstausfall entstanden sei. Die Aufnahme einer
Tätigkeit als Arzt in Deutschland sei in diesem Zeitraum aufgrund der damals
gegen den Kläger erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe unrealistisch gewesen.
Der
Kläger habe dagegen keinen Anspruch gegen das beklagte Land auf Erstattung der
Kosten für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde i.H.v. 35.700 EUR, da es
sich bei diesen Aufwendungen nicht um erstattungsfähige Kosten handele. Sie seien
zum Erreichen der Freilassung des Klägers weder zweckdienlich gewesen noch
erschienen sie als geboten.
Das
Urteil ist nicht rechtskräftig, beide Parteien können hiergegen innerhalb eines
Monats ab Urteilsverkündung Berufung einlegen.
Auszüge aus dem Strafverfolgungschädigungsgesetz
(StrEG)
§ 2 Entschädigung für andere Strafverfolgungsmaßnahmen
(1)
Wer
durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen
Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse
entschädigt, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt
wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn
ablehnt.
§ 7 [1] Umfang des Entschädigungsanspruchs
(1)
Gegenstand
der Entschädigung ist der durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte
Vermögensschaden, im Falle der Freiheitsentziehung auf Grund gerichtlicher
Entscheidung auch der Schaden, der nicht Vermögensschaden ist.
Auszüge aus dem Bürgerlichen
Gesetzbuch (BGB)
§ 249 Art und
Umfang des Schadensersatzes
(1)
Wer zum Schadensersatz verpflichtet
ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz
verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
§ 252 Entgangener
Gewinn
Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn.
Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten
und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
Kontakt:
Vorsitzender Richter am Landgericht
Dr. Stefan Bauer-Schade
Pressesprecher
Landgericht Braunschweig
Münzstraße 17
38100 Braunschweig
Tel.: 0531 488-2318
Fax: 0531 488-2665
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